Was Kulturwissenschaften mit mir zu tun haben ...

Ich studiere was Komisches ... Viele können es sich nicht merken ... Es heißt Kulturwissenschaften.

Wie ich darauf komme? Eigentlich wollte ich Germanistik studieren, als ich merkte, dass ich so am besten mit Menschen in Kontakt kam - besser als durch Informatik (was ich als Kind liebte). Allerdings war Kulturwissenschaften das einzige bezahlbare und staatlich anerkannte Fernstudium in diese Richtung. Die FernUni Hagen hat mir das also eingebrockt, was aber für mich genau der richtige Stupser war.

 

Auch wenn ich den Schwerpunkt Literaturwissenschaft (was sonst) und als Nebenfach Philosophie (hat mich schon in der Schule neugierig gemacht und gleichzeitig zur Verzweiflung getrieben) gewählt habe, geht es dabei um viel mehr.

 

Literatur

 

Inmitten vieler Seiten

verstecken sich tausende Welten

aus Zukunft, Gegenwart oder vergangenen Zeiten

voller Individuen, die wie wir als unschubladisierbar gelten.

 

Darin kann ich nicht nur verschwinden,

um im Kopf auf Reisen zu gehen,

sondern lerne, mich besser zu verstehen

und die Fäden zu unserer Welt zu verbinden.

 

Hier stehen nämlich Wahrheiten,

die uns alle im Leben leiten,

aber keiner auszusprechen wagt

oder keiner danach fragt.

 

Nicht immer sind sie leicht ertragbar,

machen schöne Illusionen zerstörbar.

Oder sie verdecken anderes undurchschaubar

und bleiben darum immer hinterfragbar.

 

Deshalb nehme ich sie gern auseinander,

betrachte sie von allen Seiten,

lerne so, dahinterzusehen

auf die darin gespiegelte Welt.

Philosophieren

 

Was ist eigentlich Philosophieren?

Weder sinnloses Fabulieren,

noch anstrengende Arbeit.

Philosophie ist die Liebe zur Weisheit.

 

Man redet über Gott und die Welt

und was der Mensch darin anstellt.

Es wird alles grundlegend hinterfragt,

sodass man sich aus der Komfortzone wagt.

 

Man möchte die Welt besser verstehen,

nicht nur auf zerdachten Trampelpfaden gehen,

sondern hoch hinauf, um mehr zu erkennen

und größere Zusammenhänge zu benennen.

 

Auch bei Dingen, die selbstverständlich sind,

ist man neugierig wie ein kleines Kind.

Diese Neugier ist in jedem versteckt.

Philosophen haben sie nur wiederentdeckt.

 

Das heißt nicht, dass ich alle Philosophen verstehe,

aber ich versuche es, indem ich ihnen nachgehe.

Auch wenn über mir ein großes Fragezeichen schwebt,

bin ich immer die, die nach Erkenntnis strebt.

 


Kultur durchzieht unser ganzes Leben. Sie ist unsere Art und Weise, wie wir miteinander, mit unserer Welt, mit unserer Geschichte und mit uns selbst bzw. unseren Gefühlen umgehen. Je nachdem, wie ich zum Beispiel eine Stadt wahrnehme und verstehe, verleihe ich ihr damit eine bestimmte Bedeutung. Allem verleihen wir so eine Bedeutung und diese vielen kleinen Bedeutungen formen unsere Wirklichkeit. Logisch: Wenn ich lerne, dass eine Stadt zu groß, zu laut, zu viel ist, dann ist das auch meine Wirklichkeit. Und das Schöne ist: Richtig und Falsch gibt's nicht, weil man alles aus mehreren Richtungen betrachten kann: Literatur, Sprache, Geschichte, Philosophie, Religion, Soziales, Politik, Wirtschaft, Medizin usw. ...

 

Was das mit mir zu tun hat? Viel! Ich habe mich schließlich noch nie auf eine Sichtweise, auf eine Wahrheit festgelegt. Und Kultur prägt nun mal alles - auch mich oder wie ich wahrgenommen werde:

  • Ich bin behindert. Behinderung ist ein kulturelles Konstrukt: Medizin will sie heilen bzw. reparieren oder wenigstens unsichtbar machen; die Wirtschaft nimmt sie durch unser Sozialsystem als Belastung wahr oder aber macht richtig viel Geld mit z.B. Hilfsmitteln, die nicht jeder, aber ein paar sogar dringend brauchen; Politik schafft Behinderung in dem Sinne, dass sie Betroffenen ihre Menschenrechte vorenthält - die UN-Behindertenrechtskonvention wird in Deutschland immer noch nicht erfüllt; auf der sozialen Ebene werden Betroffene durch die Gesellschaft behindert, die nicht mit Vielfältigkeit umgehen kann, was sich z.B. darin zeigt, dass sie oft in totale Institutionen (Erving Goffman) wie Pflegeheime oder andere Einrichtungen abgeschoben werden - auch wenn sich das langsam ändert; in der (christlichen) Religion verbindet man jede Behinderung mit Schwäche und/oder Sünde; in der Philosophie wird z.B. untersucht, wie ein Körperschema sich durch Hilfsmittel wie Rollstuhl oder Blindenstock verändert (Maurice Merleau-Ponty); in der noch gar nicht so weit entfernten Geschichte - insbesondere Deutschlands - wird sichtbar, wie leicht Menschen zu Selektion und tödlichem Mitleid neigen; in der Literatur werden alle möglichen Klischees rund um Behinderung reproduziert oder abgebaut, z.B. sind in Märchen irgendwie immer nur die Bösen behindert; in unserer Sprache ist "behindert" ein Schimpfwort, ein Synonym für "dumm" oder wird durch aberwitzige Umwege und Ersatzkonstruktionen am liebsten komplett vermieden.
  • Ich bin eine Frau. Auch dieses Bild wird aus tausenden Richtungen geprägt: In der Medizin dient immer noch der Mann als Standard, was schnell bei Frauen zu falschen Diagnosen oder Dosierungen führt; Frauen verdienen weniger als Männer, auch weil sie öfter in Teilzeit oder öfter in schlechter bezahlten Berufen und weniger in Führungspositionen arbeiten; erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts dürfen Frauen in Deutschland richtig studieren und haben auch ein Wahlrecht; Soziales und Fürsorge werden häufig ausschließlich als Frauensache gesehen; Frauen stehen in der Bibel oft im Hintergrund, was sich teilweise im Umgang mit ihnen in der Kirche spiegelt; in der Philosophie diskutiert man über die Konstruiertheit von Geschlechtern und demzufolge von allem, was wir damit verbinden (Judith Butler); in der Literatur treffen Verlage und Redaktionen eine Vorauswahl, sodass Werke von Autoren als literarisch wertvoller wahrgenommen werden.
  • Ich bin Ossi. Auch dieser Tatsache werden so viele Bedeutungen verliehen, die ich jetzt aber nicht aufzähle, aber vielleicht fallen Dir ein paar ein ...

So kann man das mit jedem Thema machen. Überall haben so viele verschiedene Fachgebiete was dazu zu sagen. Sie rennen oft gegeneinander an. Jeder will recht haben und beharrt auf seine Perspektive. Arbeitet man hingegen kulturwissenschaftlich, baut man zusammen ein vollständiges Bild. Genau das mache ich am liebsten: An einem zusammengesetzten Weltbild mitarbeiten - mit Inklusion als Schwerpunkt.