Ableismus in der Kirche - Gut gemeint ist nicht gut gemacht

 

Ich als Mensch mit Behinderung wurde, soweit ich mich erinnere, in der Kirche bzw. von Christen noch nie böswillig diskriminiert, beleidigt oder ausgegrenzt. Das wäre ja auch unlogisch: Wer als Christ einerseits glaubt, dass jeder Mensch für Gott unglaublich wertvoll ist und bedingungslos geliebt wird, aber andererseits jemanden aufgrund seiner Behinderung ablehnt und verletzt, der hat Gottes Botschaft irgendwie noch nicht verstanden.

 

Allerdings heißt das nicht unbedingt, dass ich mich in der Gegenwart von wirklich herzlichen, frommen Christen nie diskriminiert fühle. Das schwere, aus dem Englischen abgeleitete Wort für die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung oder einer chronischen Krankheit ist ‚Ableismus‘ und Ableismus muss gar nicht auf den ersten Blick als solcher erkennbar sein. Das sind nicht nur Vorurteile, Ausgrenzung und schlecht gemachte oder nicht vorhandene Barrierefreiheit. Man kann auch etwas total lieb meinen, aber genau damit unbeabsichtigt Menschen wie mich diskriminieren, weil man einfach noch nicht erfahren genug ist, um die Perspektive des Gegenübers zu verstehen. Ich gebe euch mal zwei Beispiele, die mir in der Kirche schon begegnet sind:

 

Ich weiß nicht, wie oft schon für mich gebetet wurde. Irgendwie habe ich was an mir, sodass wildfremde Menschen öfters für mich beten wollen. Versteht mich nicht falsch: Füreinander zu beten ist großartig. Ich bete auch gern für Menschen, die gerade Probleme haben bzw. Gottes Segen brauchen. Aber das ist etwas anderes: Mir geht es gut, ich bin rundum zufrieden und plötzlich will jemand für mich beten. In den Köpfen solcher Menschen gibt es im Unterbewusstsein anscheinend eine Formel: Mensch + Behinderung = bedürftig. Darauf dass dieser Mensch mit Behinderung mit seinem Leben ganz glücklich ist, kommen sie nicht. Das ist nicht ihre Schuld, aber es ist schade, dass in unserer Gesellschaft dieses Vorurteil immer noch überwiegt. Früher habe ich solche eifrigen Beter einfach schmunzelnd machen lassen, denn ein Gebet mit gutem Willen kann schließlich nicht schaden. Heute würde ich denjenigen meine Perspektive erklären und ein gemeinsames Gebet füreinander anbieten.

 

Manchmal hört man auch den Satz: „Wir sind doch alle ein bisschen behindert.“ Da denke ich eher so: Jein. Mir gefällt zwar der Gedanke dahinter, dass jeder irgendwo sein Päckchen zu tragen hat, und dieser Ansatz ist auch perfekt, um das Thema für Kinder verständlich anzusprechen. Jedoch darf man gerade als Erwachsener nicht innerlich an diesem Punkt stehen bleiben, denn das würde bedeuten, dass man alle Einschränkungen und Behinderungen ungeachtet ihres Schweregrads gleich bewertet. Ein Rollstuhl ist nun mal nicht mit einer Brille zu vergleichen. Allerdings würde ich nicht jedem, der das sagt, eine unreflektierte Gleichschaltung unterstellen, denn diese Aussage ist ja trotzdem richtig. Als kleiner Schubser oder minimale Richtigstellung würde ich höchstens antworten: „Ja, der eine mehr, der andere weniger.“

 

Selbst in Bibelgeschichten finden sich damalige gesellschaftliche Vorstellungen, wo ich mir denke: Inklusion geht anders. Meistens interpretierte man damals eine Krankheit oder Behinderung als eine Strafe für irgendein Vergehen. Betroffene wurden ausgegrenzt und waren von den Menschen in ihrem Umfeld total abhängig. Das war nun mal früher in den Köpfen der Leute so, aber man sollte das nicht auf die heutige Zeit übertragen. Wir sollten niemals auf irgendwen herabschauen und am Ende vielleicht noch denken: ‚Daran ist er sicher selbst schuld.‘ Das hat doch Jesus auch nicht gemacht. Im Gegenteil: Er ist zu den Menschen hin, hat sie wertgeschätzt, selbst entscheiden lassen und gefragt: „Was willst du, dass ich für dich tue?“ (Lukas 18,41). Können wir das nicht auch?